Mikrobiom und Angst

(© Melanie Vogel) In den letzten Jahren hat die Wissenschaft immer mehr Hinweise darauf gesammelt, dass unser Darmmikrobiom, also die Gemeinschaft von Billionen Mikroorganismen in unserem Verdauungstrakt, eine wichtige Rolle für unsere mentale Gesundheit spielt. Das Zusammenspiel zwischen Darm und Gehirn – oft als „Darm-Hirn-Achse“ bezeichnet – ist ein aufregendes Forschungsfeld, das nicht nur neue Einblicke in die Funktionsweise des menschlichen Körpers liefert, sondern auch Potenziale für innovative Therapieansätze bietet.

Wie beeinflusst das Mikrobiom unser Verhalten?

Studien zeigen, dass das Mikrobiom kognitive und emotionale Prozesse beeinflusst und sogar Auswirkungen auf die Stimmung und die Entwicklung psychischer Störungen hat. Doch wie genau diese Wechselwirkungen funktionieren, blieb bisher weitgehend unklar. Neueste Untersuchungen bringen Licht ins Dunkel und zeigen, dass das Mikrobiom unter anderem die Fähigkeit beeinflusst, Angst abzubauen.

Forscher führten Verhaltensexperimente an Mäusen durch, deren Mikrobiom durch Antibiotika reduziert oder durch Isolationshaltung eliminiert wurde. Während gesunde Mäuse lernten, eine früher mit einem Elektroschock assoziierte Angstreaktion abzubauen, gelang dies den Mäusen mit eingeschränktem Mikrobiom nicht. Diese Tiere erstarrten weiterhin beim Klang des Tones, der einst den Schock ankündigte. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein gesundes Mikrobiom entscheidend für das Verlernen von Angst sein könnte.

Veränderungen im Gehirn: Was passiert auf zellulärer Ebene?

Ein Blick in den medialen präfrontalen Kortex – einen Hirnbereich, der Angstreaktionen reguliert – zeigte deutliche Unterschiede bei den Mäusen mit beeinträchtigtem Mikrobiom. Bestimmte Gene wurden weniger stark exprimiert, und die neuronale Aktivität war reduziert. Auch strukturelle Veränderungen, wie das reduzierte Wachstum von dendritischen Dornen, die für das Lernen essenziell sind, wurden beobachtet.

Die Wissenschaftler identifizierten vier Stoffwechselverbindungen, die bei Mäusen mit beeinträchtigtem Mikrobiom seltener vorkamen. Einige dieser Verbindungen stehen bereits in Zusammenhang mit neurologischen Störungen beim Menschen. Dies untermauert die Theorie, dass das Mikrobiom über metabolische Substanzen eine direkte Verbindung zum Gehirn herstellen könnte.

Das Zeitfenster der Prägung: Warum die frühe Kindheit entscheidend ist

Besonders interessant war die Entdeckung eines sensiblen Zeitfensters direkt nach der Geburt. In den ersten Lebenswochen scheint das Mikrobiom entscheidend für die normale Entwicklung von Hirnschaltkreisen zu sein. Bei Mäusen, deren Mikrobiom in dieser Zeit wiederhergestellt wurde, konnten spätere Verhaltensdefizite vermieden werden. Wenn die Intervention jedoch zu spät erfolgte, waren die Defizite irreversibel. Diese Erkenntnis deckt sich mit der allgemeinen Annahme, dass die prägende Phase für viele Entwicklungsprozesse in der frühen Kindheit liegt.

Herausforderungen und Potenziale für die Therapie

Obwohl die Forschung noch in den Anfängen steckt, könnten diese Erkenntnisse langfristig zu neuen Therapieansätzen führen. So könnten beispielsweise spezifische Mikroben oder ihre Stoffwechselprodukte als Grundlage für Medikamente dienen. Insbesondere bei Angststörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) könnten solche Ansätze vielversprechend sein.

Doch die Wissenschaft steht vor großen Herausforderungen: Die Interaktionen zwischen Darm und Gehirn sind komplex und variieren stark zwischen Individuen. Auch die Übertragbarkeit von Tierstudien auf den Menschen ist begrenzt.

Evolutionäre Perspektive: Die Rolle des Mikrobioms in einer modernen Welt

Auf lange Sicht könnte die Erforschung der Darm-Hirn-Achse dazu beitragen, die Zunahme von Hirnerkrankungen in der modernen Welt besser zu verstehen. Mit der zunehmenden Urbanisierung und der Veränderung unserer Lebensweise hat sich auch das menschliche Mikrobiom drastisch gewandelt. Forscher vermuten, dass diese Veränderungen Auswirkungen auf unsere mentale Gesundheit haben könnten.

Die bisherigen Studien zeigen: Unsere Mikrobiome sind nicht nur passive Bewohner unseres Körpers, sondern aktive Mitgestalter unserer physischen und psychischen Gesundheit. Ein besseres Verständnis dieser Wechselwirkungen könnte uns helfen, neue Wege in der Prävention und Behandlung psychischer Störungen zu finden.


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