Aphantasie: Die Wissenschaft der fehlenden mentalen Bilder

(© Melanie Vogel) Aphantasie ist ein Phänomen, bei dem Menschen keine mentalen Bilder erzeugen können. Während einige Menschen lebhafte visuelle Vorstellungen haben, bleibt die innere Leinwand für Menschen mit Aphantasie schwarz. Dieses Phänomen betrifft schätzungsweise 1-4 % der Bevölkerung, wurde erstmals vor über 140 Jahren beschrieben, erhielt jedoch erst 2015 seinen Namen. Neurowissenschaftliche Forschungen zeigen, dass Aphantasie keine Störung ist, sondern eine alternative Form der Wahrnehmung.

Die Funktionsweise der mentalen Vorstellung

Die mentale Vorstellung kann als eine Art umgekehrte Wahrnehmung betrachtet werden. Während der Sehvorgang Lichtsignale von den Augen zum visuellen Kortex weiterleitet, um Bilder zu verarbeiten, scheint bei der Vorstellungskraft dieser Prozess umgekehrt zu verlaufen. Normalerweise aktiviert das Gehirn gespeicherte visuelle Informationen aus Gedächtnis- und Bedeutungszentren, um innere Bilder zu generieren. Bei Menschen mit Aphantasie scheint diese Verbindung gestört oder anders organisiert zu sein.

Neurowissenschaftliche Erkenntnisse

Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit Aphantasie eine veränderte neuronale Aktivierung im visuellen Kortex haben. Studien mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI) belegen, dass ihr visueller Kortex zwar auf externe Bilder reagiert, jedoch nicht auf die Vorstellung innerer Bilder. Zudem wurden schwächere Verbindungen zwischen der vorderen Hirnrinde (zuständig für kognitive Kontrolle) und dem visuellen Kortex festgestellt. Dies könnte erklären, warum Menschen mit Aphantasie zwar visuelle Informationen speichern, aber nicht bewusst abrufen können.

Auswirkungen auf Gedächtnis und Kreativität

Aphantasie beeinflusst auch das autobiografische Gedächtnis. Betroffene berichten häufig von einer schwächeren Erinnerung an visuelle Details ihrer Vergangenheit. Gleichzeitig gibt es jedoch viele kreative Menschen mit Aphantasie, darunter erfolgreiche Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler. Dies zeigt, dass Vorstellungskraft nicht zwingend an visuelle Bilder gebunden ist.

Aphantasie steht an einem Ende eines Spektrums, an dessen anderem Ende Hyperphantasie liegt. Personen mit Hyperphantasie können extrem lebhafte Bilder vor ihrem inneren Auge sehen, die nahezu real wirken. Beide Phänomene sind keine Störungen, sondern Ausdruck der individuellen Vielfalt kognitiver Prozesse.

Fazit: Dein Gehirn ist formbar

Aphantasie verdeutlicht, wie unterschiedlich Menschen die Welt wahrnehmen. Während manche in Bildern denken, nutzen andere alternative Formen der Vorstellungskraft. Die Forschung zu diesem Thema liefert wertvolle Erkenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns und die Variabilität menschlicher Wahrnehmung. Das Verständnis von Aphantasie trägt dazu bei, neue Perspektiven auf Kreativität, Gedächtnis und Bewusstsein zu gewinnen.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Review Your Cart
0
Add Coupon Code
Subtotal